Zum Januar-Retreat von Open History 2025 in Bonn
Unter denkwürdigen Umständen fand im Januar 2025 das Retreat von Open History e.V. statt. Die internationalen Grundfesten der Nachkriegsordnung sind massiv erschüttert von pseudohistorischen Territorial- und Herrschaftsansprüchen. Die Rückkehr von Donald Trump stellt mit einem aggressiven American Exceptionalism die USA als Partner infrage. Und im Inland läuft nach dem Bruch der Koalition in Deutschland ein schriller Wahlkampf mit historisierenden Deutschlandlegenden; jüngst zugespitzt zu einem Überbietungswettbewerb über Migration, eher schrill als faktenorientiert geführt.
Dass unser Retreat am Beginn von 2025 an der Universität Bonn stattfand, quasi auf dem Gelände einer massiven Bastion, lässt sich angesichts der rasanten Entwicklung auch als ein Mahnmal begreifen. Historisch fundierte Orientierung könnte als Stütze für die Zivilgesellschaft eine Bastion im tosenden Meer aus Fake News, nationalen Mythen und chauvinistischen Stereotypen sein. Open History e.V. stand und steht für eine aktive Geschichtswissenschaft, die sich mit unbeugsamer Haltung zu einer freien, diversen Gesellschaft in öffentliche Diskurse einbringt. In dieser Gemeinschaft liegt Hoffnung und Kraft für Veränderung. Das zu betonen, scheint mir heute wichtiger denn je.
Seit dem letzten großen histocamp 2019 in Präsenz und in Berlin ist – so fühlt es sich an – eine ganze Ära verstrichen. Die weltweite Pandemie zwang 2021 auch das 5. histocamp in einen Online-Modus, nicht aber in die Knie. Es gelang – ein Barcamp komplett im Internet. Im Experimentierjahr 2023 stellten verschiedene Session-Formate zu #histojob oder #histotopic dem Barcamp-Format einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch an die Seite. Eine Konstante des wärmenden Zusammenhalts blieb als wichtige DNA des Vereins das beliebte #histowichteln unter den vielen Menschen im Netzwerk.
Trotz all dieser Aktivitäten mit engagierten und geschichtsversierten Menschen stellt das zehnte Jahr seines Bestehens Open History vor konzeptionelle und gesellschaftliche Herausforderungen. Auf dem Retreat dankten die Mitglieder dem bisherigen Vorstand für seinen Einsatz. Offen und intensiv diskutierten sie mit ihnen das Resümee aus den gesammelten Erfahrungen. Gesucht war im Austausch nicht weniger als die Antwort des Vereins auf eine Gesellschaft in einer Radikalisierungsrutschbahn – und die Rolle des #histocamps als wichtiges Format geschichtlicher Akteure in Wissenschaft, Gesellschaft, Journalismus, Medien und Erinnerungskultur dagegen.
Im Mittelpunkt steht der Wunsch, sich auf ursprüngliche Stärken zurückzubesinnen: Für das Frühjahr 2026 organisieren wir ein neues histocamp als konsequentes Barcamp und Begegnungsort in Präsenz. Dafür wird auch technisch das Projektmanagement neu aufgestellt, um den oft entstandenen Druck eher abzufangen. Als wertschätzende Initiative „Lessons Learned“ gehen wir mit einem Gesprächsangebot auf frühere Mitorganisator:innen zu, um ihren Erfahrungsschatz aufzunehmen und alte Wege neu zu gehen. Gleiches gilt für ein Meinungsbild unter einer Auswahl von häufigen Teilnehmenden, die wir um Eindruck und Rat bitten. Dafür wird auch in weiteren Veranstaltungen der beliebten Reihe #histojob Raum sein, die den Pfad zum histocamp säumen. Wir freuen uns sehr darauf.
Die weltweiten Entwicklungen machten auch vor der Öffentlichkeitsarbeit nicht halt: Unrühmlich raffte der Abstieg von Twitter ein wichtiges Netzwerk für Kommunikation, Austausch und Expertise dahin – und letztlich auch für die gewohnte Mobilisierung. Den Aufstieg von BlueSky nutzen wir, damit diese Kernkompetenz von Open History und histocampwieder aufblüht. Außerdem bespielen wir Mastodon und Instagram. Folgt uns für weitere Neuigkeiten und Einblicke. Kommt gern auf uns zu, wenn ihr mitwirken wollt.
Viele Menschen sind zurecht besorgt, die sich für die Zivilgesellschaft einsetzen, für Erinnerungskultur und Gedenkorte. Ich möchte euch aber um euren Mut bitten: Die Bastion mag zittern, aber sie schwankt noch keineswegs. Geschichte braucht starke Stimmen – eure Stimme.